Mehr Experimente wagen!  

Die Expertenaussage: Das Saarland sollte die Dynamik aus der Frankreich-Strategie nutzen und die Scharnierfunktion zwischen Deutschland und Frankreich stärker als bisher zur Profilierung als Europaregion einsetzen. Notwendig ist die Entwicklung eines Leitbildes in Bereichen wie Bildung, Mobilität, Stadtentwicklung, Energie und Gesundheitswesen. Damit könnte sich das Saarland zu einer Pilotregion für die Erprobung des gesellschaftlichen Wandels etablieren. Trotz der hohen öffentlichen Verschuldung besteht die Chance zur Realisierung auch mutiger Ansätze.  

Ein großer Wurf ist dem Saarland nach dem Dafürhalten der Experten mit seiner Frankreich-Strategie gelungen. Bis 2030 soll die Hälfte der Einwohner des Saarlandes zweisprachig sein, im Jahr 2043 ist Französisch zweite Amtssprache. Damit wird das Saarland als erstes zweisprachiges Bundesland eine einzigartige Stellung einnehmen. Nach Expertenmeinung ist dies eine starke Vision: Das Land hat sich einem Projekt verschrieben, das eine Laufzeit von 30 Jahren hat – derartig langfristige Planungen sind im sonst sehr hektisch agierenden Politikbetrieb eher eine Seltenheit. Mit seiner Frankreich-Strategie stärkt das Saarland die wirtschaftsgeografische und kulturelle Scharnierfunktion zwischen Deutschland und Frankreich und seine Stellung als Europaregion.  

Trotz dieser positiven und tragfähigen Ansätze der Frankreich-Strategie ist nach Meinung der Experten die Positionierung des Saarlandes als Europaregion in der Außenwahrnehmung noch diffus. Nachdem die Bergbautradition über sehr lange Zeit das Image des Landes geprägt hat, steht nach der Einschätzung der Experten gegenwärtig kein neues Gesamtbild zur Verfügung, das in der Lage wäre, spontane Assoziationen hervorzurufen. Nur auf den zweiten und dritten Blick wird jenseits der Landesgrenzen deutlich, wofür die Region steht und wo ihre Stärken und Schwächen liegen.  

Daher plädieren die Experten unter Marketing- und Kommunikationsgesichtspunkten für die Entwicklung eines zentralen Leitbildes für das Saarland. Sie verweisen dabei auf eine Vielzahl an Initiativen im Saarland, für die es eine gemeinsame Botschaft zu formulieren gilt. Dabei betonen die Experten, dass ein Profil aus der Fokussierung entsteht: Wenn die Außenwelt verstehen soll, was das Saarland ausmacht, ist weniger mehr. Bei der Formulierung neuer zentraler Botschaften sehen die Experten vorrangig die Landespolitik gefordert. Sie steht dabei vor der Herausforderung, dass die Inhalte der Botschaften nicht nur im Saarland wahrgenommen werden, sondern auch auf ganz Deutschland, Frankreich, Luxemburg – und idealerweise auf Europa ausstrahlen sollten. Die Saarland-Kampagne mit ihrem Motto "Großes entsteht immer im Kleinen" beurteilen die Experten als Schritt in die richtige Richtung.  

Aufsetzend auf dem Leitbild sollte das Saarland beherzt über die Frankreich-Strategie hinausgehend bildungspolitische Themen besetzen und auf Politikfeldern wie Mobilität, Wohnungsbau, Stadtentwicklung in Mittelstädten, Energie und Umweltschutz, Gesundheitswesen und Altenpflege neuen Ansätzen nachgehen. Die Experten fordern hier zu mehr Mut und mehr Experimentierfreude auf. So ließe sich das Saarland zu einer Pilotregion für die Erprobung des gesellschaftlichen Wandels entwickeln, die deutschland- und europaweit Beachtung findet.  

Bei dieser Zukunftsvision erachten die Experten die geringe Größe des Saarlandes und die damit verbundene enge Vernetzung der Akteure als Vorteil: Dank dieser Faktoren können Ideen und Konzepte bei überschaubarem Kostenaufwand schnell umgesetzt werden, auch sei es möglich, Irrwege schnell zu identifizieren und Fehlentwicklungen rasch zu korrigieren.

Die Experten sehen große Chancen zur Realisierung dieser mutigen Ansätze. Dennoch sind die angespannte Haushaltssituation des Saarlandes und die hohen öffentlichen Schulden ein limitierender Faktor. Der Schuldenberg des Saarlandes ist eine Altlast aus der Zeit der Schwerindustrie. Die Kohle trifft dabei die geringste Schuld. Hauptsächlich ist die prekäre Finanzlage auf die Subventionen für die Stahlindustrie zurückzuführen, die in den 1980er-Jahren flossen, so die Experten. Seit nunmehr 30 Jahren sind damit die finanzpolitischen Handlungsspielräume der Landesregierungen eingeschränkt.  

Ungewiss ist, ob das Land trotz einer sich selbst tragenden Wirtschaft und tiefer Spareinschnitte aus den Schulden herauskommt. Daher wird die Frage, ob die Selbstheilungskräfte im Saarland groß genug sind, dass es sich aus eigener Kraft entschulden kann, oder ob der Bund einspringen sollte, unter den Experten kontrovers diskutiert. Für eine Entschuldung aus eigener Kraft spricht, dass das Saarland dadurch eine massive wirtschaftliche Dynamik entfalten würde. Auch wäre damit nach Expertenmeinung ein hoher Imagegewinn verbunden, der das Saarland weiter stärken würde. Sollten hingegen Bundesmittel fließen, ginge die Entschuldung schneller vonstatten. Allerdings könnte damit eine Subventionsmentalität entstehen, die einen Neustart verhindert. Saarland-Experten verweisen darauf, dass sich die Schuldenbremse auch bei den Bildungsinvestitionen negativ bemerkbar macht und dadurch die Zukunftsfähigkeit des Landes beeinträchtigt, wenn nicht sogar gefährdet wird.  

Bei alternativen Finanzierungsformen wie Public-private-Partnerships gehen die Meinungen der Experten ebenfalls auseinander. Befürworter sehen darin eine Möglichkeit, mit regulären Haushaltsmitteln nicht realisierbare wichtige Investitionen umzusetzen. Zugleich würde die Wirtschaft bei Infrastrukturaufgaben mit in die Verantwortung genommen und an der Landesentwicklung beteiligt. Gegner unter den Experten verweisen auf die Gewinnerzielungsabsicht des privaten Partners und auf die anhaltende Niedrigzinsphase, in der eine konventionelle Finanzierung über Kredite die günstigere Alternative sei. 


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