Mit Weltoffenheit dem Bevölkerungsschwund begegnen  

Die Expertenaussage: Die historische und geografische Nähe zu Frankreich legen eine Positionierung des Saarlandes als weltoffene Region nahe. Auch der pragmatische und zugewandte Umgang mit den Flüchtlingen bestätigt die Weltoffenheit der Saarländer. Um dieses Image der Region zu forcieren, sollten der einladende Gestus und das bürgerschaftliche Engagement in der Bevölkerung weiter gefördert werden.  

Das Saarland ist das älteste unter den neuen Bundesländern. Nach einer Volksabstimmung im Jahr 1955 wurde das Saarland im Jahr 1957 Teil der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1947 war es französisch besetzt, zwischen 1947 und 1956 teilsouverän und wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen. Wer vor 1945 geboren ist, hat demnach viermal die Nationalität gewechselt. Im Saarland mutet vieles französischer an als im Rest der Republik. In einem aber unterscheidet sich das Saarland deutlich vom Nachbarland: Während in Frankreich viele Kinder geboren werden, hat das Saarland die geringste Geburtenrate Deutschlands und ist zusätzlich von Abwanderung bedroht. Die jungen Menschen zieht es in die Städte – für sie ist eine Stadt ohne U-Bahn eigentlich nur ein großes Dorf.  

Dem Zangengriff aus niedriger Geburtenrate auf der einen Seite und dem Trend zur Urbanisierung auf der anderen kann sich das Land nicht entwinden, so die Experten: Die Familienplanung ist in freien Gesellschaften ureigenste Privatangelegenheit der Menschen. Sie lassen sich auf das "Abenteuer Familie" nur dann ein, wenn sie es wollen, wenn sie als Familie Zukunftsperspektiven sehen und wenn ihr Umfeld familienfreundliche Lebens- und Arbeitsverhältnisse bietet. Dazu gehören gute Kitas, Betreuungsmöglichkeiten während der Schulferien, Freizeitangebote, ein für Kinder und Erwachsene jeden Alters lebenswertes Umfeld, familienfreundliche Angebote der Unternehmen – und vor allem gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber den arbeitenden Müttern. Der Staat in Frankreich hat über kostenlose Vorschulen, Ganztagsschulen für die größeren Kinder und hohe Einkommensteuernachlässe familienfreundliche Rahmenbedingungen geschaffen, führen die Experten aus, und kann dank hoher Subventionen sogar im ländlichen Raum die Bevölkerung stabilisieren. Demgegenüber weist das Saarland offensichtlich Defizite auf, die sich nicht schnell und einfach lösen lassen.  

Auch bei dem Unterfangen, die Abwanderung ins Bundesgebiet zu verlangsamen oder gar in eine Zuwanderung umzukehren, hat das Saarland nach Erwartung der Experten keine guten Voraussetzungen. Einer der wichtigsten Trends, der das Saarland berührt, ist die Abwanderung der Menschen in die Großstädte. Die Urbanisierung wird Deutschland nach Meinung von Zukunftsforschern radikal verändern. Zwar schlägt sich die 180.000 Einwohner zählende Landeshauptstadt Saarbrücken im Attraktivitätsvergleich mit ähnlich großen Städten wie Mülheim an der Ruhr, Kassel, Rostock oder Hamm achtbar. Aber vor allem die gut ausgebildeten jungen Menschen zieht es in die Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt oder in die "trendigen" Universitätsstädte mit breiten kulturellen und subkulturellen Angeboten. Erhalt und Ausbau des reichhaltigen kulturellen Angebots und die Kultivierung eines deutsch-französischen Lebensgefühls sind nach Expertenmeinung wichtige Maßnahmen, um die Attraktivität des Saarlandes zu vergrößern. Doch selbst wenn dieses Unterfangen gelingt, kann dies den Bevölkerungsschwund allenfalls abschwächen.  

Nach einhelligem Meinungsbild der Experten ist die Zuwanderung durch Flüchtlinge für das Saarland wie für alle Flächenländer eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance, die demografische Entwicklung zu korrigieren, die Entleerung zu vermeiden und die gesellschaftliche Vitalität zu vergrößern. In den im Oktober 2015, also inmitten der Flüchtlingskrise, geführten Interviews vertraten die Experten die Ansicht, dass die meisten Flüchtlinge integrationswillig seien und sich hier eine Zukunft aufbauen wollten. Damit deckt sich die Meinung der Saarland-Experten weitgehend mit der Befragung der Experten im Rahmen der Delphi-Studie, bei der die erste Befragungswelle bereits im August und September 2015 stattfand. Allerdings sahen die Experten auch die Gefahr, dass die Integrationsbemühungen scheitern und es nicht gelingt, die Neuankömmlinge in Arbeit zu bringen. Dann, so befürchten es die Experten, werden die heutigen Flüchtlinge die Dauerarbeitslosen von morgen sein.  

Das Saarland schlägt bei der Integrationsaufgabe nach dem Dafürhalten der Experten einen besonnenen, pragmatischen und sehr erfolgversprechenden Weg ein. Insbesondere der Innenminister Klaus Bouillon, der sein Ministerbüro für 7 Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Lebach aufgeschlagen hatte, erwarb sich damit einen Ruf als Anpacker. Die Antrags- und Anerkennungsverfahren sind schnell und bei der Unterbringung setzt sich die Landesregierung in besonderer Weise ein. So beteiligt sich die landeseigene SHS Strukturholding Saar mit ihren Immobiliengesellschaften an der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Sie kauft im ganzen Land Wohnraum zur Unterbringung der Flüchtlinge an, um gewinnorientierte private Betreibermodelle zu vermeiden. Mit diesem Maßnahmenpaket setzt die Landesregierung wichtige Signale an die Bevölkerung, um bei dieser Akzeptanz für die Integration der Flüchtlinge zu schaffen, sagen die Experten.  

Auch die Wirtschaft im Saarland erkennt in der Zuwanderung von Flüchtlingen eine große Chance und leistet über Qualifizierungsmaßnahmen einen Beitrag zur Integration von Migranten. In der Außenwahrnehmung der Experten wird damit die Flüchtlingspolitik des Saarlandes als Teil der Wirtschaftspolitik verstanden. Damit zieht die Wirtschaft im Saarland bei der Integration der Flüchtlinge nicht nur mit, sie forciert diese auch. Das durchschnittlich niedrigere Qualifikationsniveau der Flüchtlinge ist nach Ansicht der Experten für die saarländische Wirtschaft kein Integrationshindernis: Die Flüchtlinge sind jung und lernwillig. Sie stellen folglich ein Potenzial für das Handwerk und die mittelständische Industrie dar, die gegenwärtig 3.000 Ausbildungsplätze pro Jahr nicht mehr besetzen können.  

In einer optimistischen Zukunftsprojektion der Experten könnte das Saarland seine Brückenfunktion zwischen Deutschland und Frankreich erweitern und 2025 für "das Land der Empathie“ stehen. Eine Voraussetzung dafür ist es, in der Bevölkerung einen einladenden Gestus und bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Dies könnte auch dazu beitragen, dass die Lebensqualität im Saarland für alle Bewohner steigt.  

Ein strategischer Hebel hierfür ist nach dem Dafürhalten der Experten das bürgerschaftliche Engagement, das insbesondere in der ehrenamtlichen Betätigung Wirkung entfaltet. Ohne ehrenamtliche Helfer wäre die Flüchtlingskrise nicht zu meistern – wobei gerade in der Integration der Flüchtlinge große Chancen bestehen, der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken. Ehrenamtliches Engagement zeigt sich aber nicht allein in der Flüchtlingsthematik – das Ehrenamt hat eine viel größere Dimension und strahlt in alle Lebensbereiche aus. Das Ehrenamt ist in der modernen Gesellschaft wichtiger geworden, zugleich hat sich die Motivation der Helfer verändert. Ihr Engagement ist nicht mehr nur Ausdruck von Idealismus, Selbstlosigkeit und Nächstenliebe. Vielmehr wollen ehrenamtlich engagierte Menschen aus der ausgeübten Tätigkeit auch einen Nutzen für sich selbst ziehen, indem sie beispielsweise anderen Menschen begegnen, ihr Leben durch neue Impulse und Einsichten bereichern und Anerkennung finden.  

Insbesondere in den solidarischen Milieus der früheren Bergbauregionen hat die ehrenamtliche Betätigung eine lange Tradition und genießt hohes Ansehen in der Gesellschaft. Für das Saarland ließe sich daher die Mobilisierung ehrenamtlich tätiger Menschen als ein strategischer Hebel bei der Gestaltung des Wandels nutzen, merken die Experten an. Unterstützt wird dies durch die demografische Entwicklung. Die Gesellschaft im Saarland ist eine alternde Gesellschaft. Allerdings sind ältere Menschen heute körperlich und auch geistig deutlich fitter als in den vorangegangenen Generationen. Viele ältere Menschen möchten mit dem Arbeitsprozess verbunden bleiben, in Teilzeit, in unternehmensnahen Initiativen oder im Ehrenamt. Damit ältere Menschen nicht mühsam nach Betätigungsfeldern suchen müssen, sind Städte und Gemeinden aufgefordert, diese Potenziale systematisch zu erfassen und zu nutzen. Dabei gibt es nach Meinung der Experten in ganz Deutschland und folglich auch im Saarland noch Defizite.


RAG-Stiftung
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