Städtebauliches Kolloquium Tag 2,
Junges Lebensgefühl: kreativ und urban

"Auf Milieus und Leuchtturmprojekte setzen"

Differenzierung statt Gleichmacherei, Leuchtturmprojekte schaffen, die auf die Interessen und Vorstellungen der jungen Menschen einzahlen: Das Städtebauliche Kolloquium zeigt Wege auf, wie Ruhrgebietsstädte durch Charakter und Klang mehr Sichtbarkeit und Anziehungskraft bekommen.

Leipzig ist das Mekka der jungen Leute in Deutschland. Keine andere Stadt zieht so viele Menschen zwischen 20 und 35 an wie die größte Stadt Sachsens. Leipzig gehört zu den sogenannten Schwarmstädten. "Auszubildende, Studierende, Berufseinsteiger oder junge Familie fühlen sich dort am wohlsten", beschreibt Annamaria Deiters-Schwedt, Leiterin des Berliner Büros der empirica ag und Expertin auf dem Gebiet, das Phänomen. Zu Schwarmstädten zählen die üblichen Verdächtigen wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder München. Doch genauso gehören kleinere Städte wie Münster, Regensburg oder Nürnberg dazu. Sie definieren sich im Wesentlichen über vier Kriterien: (1) Hauptattraktion für junge Menschen ist die Anwesenheit von vielen, anderen jungen Menschen, (2) Universitäten sind notwendig, aber nicht hinreichend, (3) es braucht ein definiertes Zentrum mit Lebendigkeit und einem vielfältigen Erscheinungsbild mit hoher Aufenthaltsqualität und (4) eine Stadt muss sich von anderen abheben, jede Schwarmstadt hat eine "Unique Selling Proposition".

Barbara Thüer, Adolf Winkelmann, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher, Annamaria Deiters-Schwedt

Obwohl das Ruhrgebiet über die dichteste Hochschullandschaft Deutschlands verfügt, gehört keine seiner Städte zu den Schwarmstädten. "Wegen einer Hochschule bleibt kein junger Mensch dauerhaft im Ruhrgebiet", betonte Deiters-Schwedt. Das Kernproblem ist: "Es gibt kaum Differenzierung zwischen den Revierstädten. Unterschiede zwischen Essen, Bochum und Dortmund lassen sich somit für Außenstehende kaum benennen", führte Deiters-Schwedt weiter aus. Dabei verfügen die Reviermetropolen durchaus über die nötigen Zutaten, um Schwarmstadt zu werden. Es gibt bereits aufkommende Milieus - z. B. in Essen oder Dortmund. Viele junge Menschen leben hier - nicht zuletzt aufgrund der Hochschulen. Und im Gegensatz zu anderen Metropolen ist Wohnraum im Ruhrgebiet noch bezahlbar. Daraus lässt sich durchaus ein besonderer Charakter formen. Notwendig dafür sind vor allem Gestaltungsfreiräume für junge Menschen und Leuchtturmprojekte in einzelnen Quartieren. Die Stadtverantwortlichen und der Städtebau spielen mit flankierenden Maßnahmen hier eine entscheidende Rolle. Sie können helfen, ein Thema, oder eine Vision für die Stadt vorzugeben, auf das dann konsequent hingearbeitet wird. Beispiel Berlin-Lichtenberg. Der einst für schäbige Hochhausplatten und als Nazi-Hochburg bekannte Bezirk hat sich vor einigen Jahren zum Familienbezirk erklärt. Heute gehört er zu den familienfreundlichsten Kommunen in ganz Deutschland. Wie die Aufwertung eines Viertels funktioniert, demonstrierte anschließend sehr unterhaltsam und mit vielen Anekdoten garniert der Filmemacher Adolf Winkelmann. Sein Thema: Die Tauben über den Dächern der Stadt - ein Lichtbildervortrag zur Geschichte und Entwicklung des Dortmunder Us. Winkelmann wurde 2007 gebeten, das Gebäude inmitten der Stadt künstlerisch aufzuwerten und dafür Vorschläge zu präsentieren. Obwohl er dazu zunächst keine überzeugende Idee hatte, sagte er zu. Mit Blick zurück auf die damalige Entscheidung riet er den Studierenden: "Nutzen Sie Gelegenheiten, die sich Ihnen bieten. Im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und mit ein bisschen Glück werden sich die Dinge schon richten." Und tatsächlich. Nach einem holprigen Start nahm das Projekt Fahrt auf. Die Idee der Lichtbilder oben am Turm fand immer mehr Fürsprecher. Kompliziert wurde es erst wieder, als die Umsetzung nahte. Mehrfach drohte dem Projekt das Aus, weil insbesondere Rechts- und Bauvorschriften eine Installation dieser Art nicht vorsahen. Es war die Beharrlichkeit von Winkelmann, die die Tauben über den Dächern der Stadt Realität werden ließen. Heute ist der Turm das Wahrzeichen Dortmunds und eines im Ruhrgebiet. Bilder, erschaffen durch 1,7 Millionen LEDs, erzählen täglich neue Geschichten. Und wenn dem Turm etwas nicht passt, dann wehrt er sich: "Ich, der Turm, fand schon damals Nazis voll uncool."

Nach dem Dortmunder U ist heute ein ganzes Viertel benannt. Es ist für Künstler, Kreative und junge Familien eine neue Heimat geworden.


Veranstalter:

Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung
Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung
Telefon: 0231-755 2241, stb.rp(at)uni-dortmund.de, www.raumplanung.tu-dortmund.de/stb
Netzwerk Innenstadt NRW, Münster www.innenstadt-nrw.de/aktuell/
ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund, www.ils-forschung.de
RAG-Stiftung, Essen, www.rag-stiftung.de

Mit Unterstützung von:

Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Architektur, www.fh-dortmund.de
Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e.V., www.srl.de
Informationskreis für Raumplanung e.V.
Deekeling Arndt Advisors in Communications GmbH, Düsseldorf

Ausschnitte aus dem Vortrag "Schwarmstädte – ein Modell für das Ruhrgebiet" (12:03)

Straßenumfrage: Was muss getan werden, damit die Städte im Ruhrgebiet schöner werden? (02:11)

Adolf Winkelmann, Filmemacher, im Interview (01:41)

Annamaria Deiters-Schwedt, Leiterin des Berliner Büros der empirica ag, im Interview (01:31)


RAG-Stiftung
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